Barbara Zeizinger
Lyrik und Prosa


» Libretti

Seit Jahren arbeite ich mit dem Darmstädter Komponisten Cord Meijering zusammen, Dabei entstanden zwei Aufführungen von Kinderopern, für die ich – teilweise mit Jugendlichen – die Libretti geschrieben habe: „Spiegel das Kätzchen“ nach Gottfried Keller, 1990 und „Die kleine Meerfrau“ 1997 nach Hans-Christian Andersen. Ein weiteres Libretto liegt in der Schublade und wartet auf seine Vertonung.

Wie ein Libretto entsteht (Auszug)
Zu Beginn der Überlegungen stand die Suche nach dem entsprechenden Text, nach dem eigentlichen Thema. Da die Zeit knapp war, sollte es keine selbsterfundene Geschichte sein, also konzentrierten wir uns auf Märchen und Novellen. Ich hatte "Kleider machen Leute" von Gottfried Keller vorgeschlagen, vielleicht auch deshalb, weil unser letztes gemeinsames Opernprojekt ebenfalls auf einer Novelle von Gottfried Keller basierte. Nach der Lektüre der "Kleinen Meerfrau" stand für mich aber sofort fest: Dieses Märchen nehmen wir. Warum? Inwiefern kann ein Märchen interessant sein als Vorlage für eine Oper, die zum größten Teil von Jugendlichen gestaltet werden sollte?

Ein Märchen ist eine "kurze Prosaerzählung aus freier Erfindung, ohne zeitlich-räumliche Festlegung in der Wirklichkeit", es erzählt "von phantastisch-wunderbaren Begebenheiten, die sich in Wahrheit nicht ereignet haben", so lautet die Definition in einem Literaturlexikon.

Natürlich gilt dies auch für die Geschichte der kleinen Meerfrau, die tapfer allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Leben in die Hand nimmt und sich wegen ihrer Sehnsucht und ihrer Liebe in größte Gefahren begibt. Am Ende wird sie zwar belohnt, aber das märchenhafte "Ende gut alles gut" geht für sie nicht ganz in Erfüllung. Weder wird ihre große Liebe zum Prinzen erwidert, noch läßt sich ihr Wunsch als Mensch leben zu können langfristig realisieren. Die kleine Meerfrau ist also keine ganz ungebrochene Märchenfigur. Sie lebt in zwei Welten, sie hat widersprüchliche Gefühle und sie erlebt alle Höhen und Tiefen ihrer Zerrissenheit. Und so nähert sich die "wunderbare Begebenheit" doch ein wenig unserer erfahrbaren Wirklichkeit und damit auch der Wirklichkeit vieler Jugendlicher.

Thema und Text waren also gefunden, die Umsetzung in ein Libretto konnte beginnen. Der Anfang dieses Prozesses war eher handwerklicher Natur. Aus einem epischen Text mußte ein dramatischer gestaltet werden, unter Berücksichtigung aller Regeln, die hier zu beachten sind. Das größte Problem dabei war die Reduzierung, also die Notwendigkeit sich auf das Wesentliche zu beschränken, denn Gesang und Musik benötigen viel mehr Zeit einen Sachverhalt darzustellen als ein Erzähler. Das zweite Problem war die Umsetzung der Handlung, aber auch der Gefühle und nicht zuletzt der Landschaft in lyrische Texte. So wird uns in Andersens Märchen beispielsweise in einem Absatz erzählt, daß jede der kleinen Meerprinzessinen ihren eigenen Garten habe, in dem jede pflanzen könne, was sie wolle. In einem Libretto muß das sozusagen visualisiert werden, indem jede Schwester ihren Garten vorstellt.